Bericht vom Treffen der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen in Radeberg
Vom 5. bis 7. Juli 2013 fanden sich die Gruppen der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA) zu einem der drei jährlichen Treffen zusammen. Ausgerichtet wurde das Treffen dieses Mal vom Libertären Netzwerk Dresden, das damit bereits zum zweiten Mal nach 2011 die FdA-Versammlung bei sich begrüßen konnte.
Das Libertäre Netzwerk Dresden entstand im Jahre 2009 als Zusammenschluss verschiedener libertär-politischer Gruppen und Initiativen. Zu seiner Hochzeit deckte das Netzwerk in seiner Tätigkeit viele Themengebiete ab. So gab es eine Freiraumgruppe, eine Antifagruppe, eine Schüler*innenvernetzung mit der Zeitung Freidruck, ein Hausprojekt, eine Tierrechtsgruppe, den AK Freizeit, eine Gruppe zur gemeinsamen Freizeitgestaltung, eine psychiatriekritische Gruppe und nicht zuletzt das lokale Syndikat der FAU. Die Gruppen profitierten von Austausch, Know-how-Weitergabe und geteilten Ressourcen. Im Jahre 2011 schloss sich das Netzwerk dem damaligen Forum deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA) an und motivierte überregional Anarchist*innen sich an dem Projekt einer Föderation im deutschsprachigen Raum zu beteiligen. Während die FdA seit dem in einer positiven Dynamik begriffen ist, befindet sich das Libertäre Netzwerk in einer Krise, mit der sich im letzten Jahr bereits in der Gaidao auseinandergesetzt wurde. Zur Zeit sind nur noch wenige Gruppen im Netzwerk föderiert und es finden keine Plena mehr statt.
Das FdA-Treffen fand in der Kleinstadt Radeberg im Nordosten Dresdens statt, da dort lokale Aktivist*innen der nicht zur FdA gehörigen Autonomen Antifa Radeberg (aARdb) über geeignete Räumlichkeiten verfügen. Immerhin war es die bis jetzt größte Zusammenkunft und internationale (antinationale ) Gäste wurden erwartet. Zudem wünschte man sich eine gemeinsame Abendgestaltung, um dem Kennlernen und Diskutieren außerhalb der Plena Raum zu bieten.
Insgesamt nahmen an dem Treffen knapp 50 Personen teil. Darunter Aktivist*innen der FAO (Anarchistische Föderation aus Slowenien), der CSAF (Anarchistische Föderation aus Tschechien/Slowakei), der Organisierten Anachist*innen Finsterwalde, der Gruppe e*vibes aus Dresden und einer anarchistischen Gruppe im Aufbau aus Cottbus. Zusammen waren diesmal fast mehr Gäste als Mitglieder der in der FdA föderierten Gruppen anwesend. Möglich wurden solche Treffen, die ihren Fokus verstärkt auf Austausch und Ideenentwicklung legen, durch die Entfernung der Beschlussfindung von den Treffen. Beschlüsse werden seit dem Frühjahr ausschließlich und jederzeit mit festgelegten Fristen über unsere elektronischen Kommunikationsmittel gefasst. Zudem besteht eine neue Möglichkeit der festen Zusammenarbeit mit der FdA ohne formellen Beitritt und interne Mitarbeit: das sog. „assoziierte Projekt“. Assoziierte Projekte sind zu den FdA-Treffen eingeladen, teilen Ressourcen mit der FdA und berichten von ihren Tätigkeiten. Diese Form der Partizipation eignet sich vor allem für nicht als klassische “Politgruppe” aktive Initiativen, wie Hausprojekte, Kollektivbetriebe oder Infoläden, die eine aktive Mitarbeit in der FdA nicht leisten können oder ideologisch gemischtere Gruppen mit speziellem Themenbezug, die sich nicht zu stark auf Anarchismus festlegen wollen.
Freitag
Die meisten Teilnehmenden reisten bereits Freitagnachmittag an und die Küfa-Gruppe Casabunta, die uns das ganze Wochenende aufs Leckerste verpflegte, hatte bereits alles zum veganen Grillen vorbereitet. So verbrachten wir den ersten Abend, wie auch den folgenden an einem großen Lagerfeuer. Überhaupt war das Wetter so sonnig und warm, dass sich viele Arbeitsgruppen draußen zusammenfanden und sich viele der Teilnehmenden entschieden zu zelten.
Samstag
Am Samstagmorgen teilten wir uns nach Begrüßung durch die lokalen Organisator*innen und Vorstellungsrunde in zwei Gruppen auf. Zum einen wurde die Tätigkeit der Referate seit dem letzten Treffen besprochen, zum Anderen gab es eine Einführungsgruppe zur internen Struktur der FdA, die besonders für Gäste und neue Mitglieder gedacht war. Dabei handelte es sich wohl um den trockensten Teil des Treffens, den wir aber frisch und mehr oder weniger ausgeschlafen gut überstanden. Mit der Tätigkeit der Referate waren wir alle weitestgehend zufrieden und es wurden im wesentlichen Kleinigkeiten diskutiert oder Aktionen der FdA der vergangenen Monate noch einmal Revue passiert. Erwähnenswert ist vielleicht, dass die nächste CRIFA (das halbjährliche Vernetzungstreffen der Internationale der Anarchistischen Föderationen) im Herbst in Berlin stattfinden wird. Danach wollten wir über die Tätigkeiten der einzelnen Gruppen sprechen, aber es stellte sich heraus, dass sich dieser Themenkomplex bereits ans Lagerfeuer verlagert hatte und es im formellen Rahmen hierzu keinen Gesprächsbedarf mehr gab.
Marcos Denegro, ein Mensch aus der Gaidao-Redaktion und Teil der Anarchistischen Föderation Berlin, hat ein Anarchistisches Wörterbuch (http://www.edition-assemblage.de/anarchistisches-worterbuch/) geschrieben, dass in Kürze bei edition assemblage erscheinen wird. Das Buch soll als Nachschlagewerk durch den zum Teil abgehobenen Begriffsdschungel innerhalb anarchistischer und emanzipatorischer Zusammenhänge dienen. Es leistet also einen Beitrag zum Abbau von Wissenshierarchien innerhalb der Bewegung. Marcos bat uns aus der Ferne darüber zu diskutieren, ob es nicht Sinn machte, das Buch im Namen der FdA herauszubringen. Alle begrüßten den Vorschlag grundsätzlich, jedoch wurde auch die durch die Herausgabe von Definitionen entstehende Machtstellung über Sprache und Bewusstsein diskutiert. Schlussendlich wird eine Einleitung der FdA entstehen, die auf derartige Sachverhalte hinweist und die FdA als Mitherausgeberin eines Sachbuchs verortet und nicht als Definitionsmacht in Sachen Anarchismus und soziale Bewegung.
Anschließend verlagerten wir uns auf aktionsorientierte Themen und teilten uns in vier Arbeitsgruppen auf, um verschiedene Kampagnen zu planen. Eine beschäftigte sich mit der Solidarität mit den arabischen und anderen Aufständen, insbesondere in Hinblick auf die Verflechtung deutscher Konzerne mit den repressiven, autoritären Regimes der Region. Auf der Agenda stehen hier in naher Zukunft unter anderem Recherche und eine Informationskampagne von Beschäftigten und Öffentlichkeit. Eine weitere befasste sich mit den anstehenden Wahlen und einer möglichen Anti-Wahlkampagne, zu der sich bereits einige Gruppen zusammengefunden haben. Anarchist*innen kritisieren typischerweise das Partizipationssystem in der parlamentarischen Demokratie und befürworten stattdessen Systeme, die eine permanente, politische Beteiligung der Einzelnen an ihrem Umfeld ermöglichen. Auch hier wurden bereits konkrete Ideen erarbeitet und wenn alles gut läuft, habt ihr vielleicht bald Material in den Händen, um euer Kreuz allabendlich jenseits des Wahlzettels zu setzen. Die nächste Gruppe beschäftigte sich mit Aktionstagen zum 3. Oktober, um das Thema des deutschen Nationalismus und Nationalmythos nicht aus den Augen zu verlieren. Nationalismus steht dem anarchistischen Grundprinzip der „Freie[n] Menschen in freien Vereinbarungen“ konträr gegenüber. Hier sind eine Demonstration, verschiedene Aktionen und ein antinationaler Kongress geplant. Außerdem ging es in einer vierten Gruppe um ein Vorhaben der Anarchistischen Föderation Rhein Ruhr (AFRR), in ihrer Region eine dreimonatige Anarchiekampagne mit zahlreichen Infoveranstaltungen durchzuführen.
Im Anschluss an diesen Block konnten sich die Beteiligten aus dem deutschsprachigen Raum erst einmal zurücklehnen und den Inputs zu Aufständen anderswo lauschen. Zunächst berichteten die Gäste von der FAO über den Prozess, in Slowenien eine anarchistische Föderation aufzubauen. Ein Prozess, der bereits vor dem erfolgreichen Aufstand in Slowenien gegen die amtierende Regierung begann und durch diesen Fahrt aufnahm. So konnten wir einem spannenden zweiteiligen Vortrag folgen, der uns zum einen die Föderation und zum anderen den Aufstand in Zielen und Methoden näherbrachte. Gleich anschließend fuhren die Karakök-Autonomen, eine Gruppe aus Zürich und der Türkei, fort, über die aktuellen Ereignisse rund um den Taksim-Platz in Istanbul und im ganzen Land zu berichten. Die Türkei verfügt über eine für resteuropäische Verhältnisse sehr schwer nachzuvollziehende politische Landschaft voller Widersprüche, in der es einer anarchistischen Bewegung schwerfällt sich zu behaupten, selbst wenn die Methoden des aktuellen Aufstands häufig anarchistische sind. Dazu empfiehlt sich der Artikel Die Aufstände in Taksim in Gaidao 31.
Eigentlich schon viel zu überfordert mit den vielen Informationen umzugehen, stürzten wir uns in den nächsten wichtigen Themenblock: Geschlecht und FdA. Hier teilten wir uns in Gruppen auf und es ging um die Frage, inwieweit und in welcher Form das Geschlecht eine Rolle im Gruppengefüge spielt. Die Diskussionen verliefen anhand vorher formulierter Fragestellungen. Die Diskussionen in den einzelnen Gruppen waren zum Teil sehr unterschiedlich, da auch die Situation in den Gruppen stark divergiert, weshalb hier auch nicht viel dazu gesagt werden kann. In der anschließenden gemeinsamen Diskussion entstand die Idee eines Fragenkatalogs zur Durchführung einer wissenschaftlichen Erhebung innerhalb der FdA-Gruppen, da mitunter sachliche Fakten fehlten. Der offizielle Teil des Tages klang dann mit einer kontroversen, aber freundschaftlichen Diskussion über Sexismus aus. Zum Beispiel ging es darum, inwieweit in Theorie und Praxis biologisches Geschlecht und geschlechtsspezifisch konnotiertes Verhalten zu trennen seien.
Sonntag
Am Sonntagmorgen wurden die Referate der FdA neu besetzt. Diese sind zur Zeit das Internationale Referat, das Organisationsreferat, das Referat Website, das Referat Mailingliste, das Öffentlichkeitsreferat und das Finanzreferat. Die Referate werden von Einzelpersonen aus verschiedenen Gruppen betreut und es fanden sich genügend Freiwillige, um sie weiter zu besetzen.
Darauf teilten wir uns erneut in AGs auf. Zum einen wurde über die Gaidao, die Monatszeitschrift der Föderation, diskutiert, während die andere Gruppe sich aktuellen Themen in der Internationale der Anarchistischen Föderationen (IFA) bzw. der darüber hinausgehenden internationalen Zusammenarbeit annahmen.
Die Gaidao-Gruppe sammelte zunächst ein Feedback zur Zeitung an sich, das überwiegend positiv ausfiel. Das Abdrucken von Aufrufen wurde als unnötig wahrgenommen, mehrteilige Diskussionen als gewisse Problematik gesehen, für all jene, die nicht regelmäßig lesen. Manche wünschen sich mehr Bilder und weniger „Bleiwüste“. Außerdem wurde bemängelt, dass die Zeitung zur Zeit noch zu selten öffentlich an Treffpunkten ausliegt. Im Anschluss wurden zahlreiche Ideen zu Inhalten der Zeitung und sonstigem Veröffentlichungsmaterial gesammelt. Hier ging es um den Druck von Postern, Postkarten und Sonderausgaben zu politischen Ereignissen.
Die IFA-AG diskutierte über die anstehende Ausrichtung der CRIFA-Treffen. Das nächste CRIFA-Treffen (kleineres regelmäßiges Treffen der Föderationen) wird im November in Berlin stattfinden. Darüber hinaus ging es um eine bessere, direkte Zusammenarbeit mit anarchistischen Gruppen in den Grenzregionen. Hier wurden Konzepte und die Lage an den einzelnen Grenzen genauer erörtert. Der Wunsch nach direktem Austausch und Zusammenarbeit manifestiert sich bereits in der Einladung anderer Föderationen zu unseren aktuellen Treffen. Weiterhin soll den anderen Föderationen vorgeschlagen werden, eine feste Fahrtkostenregelung zu etablieren, die durch Subventionierung von Fahrkosten durch die IFA zu einem internationalen Austausch anregt. Thema war außerdem eine direkte Solidaritätsanfrage aus Argentinien, wo einer Angestellten eines international tätigen, deutschen Konzerns mit Sitz in Nürnberg wegen gewerkschaftlicher Tätigkeit gekündigt wurde. Wir beschlossen hier, wenn möglich in Zusammenarbeit mit der Freien Arbeiter*innen Union (FAU), einer anarchosyndikalistischen Gewerkschaft, eine Öffentlichkeitskampagne zu starten.
Letzter Punkt des Treffens vor der großen Feedbackrunde war der Vortrag der CSAF zur Lage der Roma im Grenzgebiet zwischen der Tschechischen Republik und der BRD. Diese werden durch Gentrifizierungsprozesse in arme Regionen der Peripherie verdrängt und dort zum Opfer von breit gesellschaftlich getragenem Rassismus. Die Gaidao berichtete in der Vergangenheit bereits ausführlich über Ereignisse wie Progrommärsche oder die Besetzung einer Elendsunterkunft durch Roma-Familien, denen die Obdachlosigkeit drohte. Während dieser Ereignisse hat sich kontinuierlich eine grenzübergreifende Zusammenarbeit antirassistischer und anarchistischer Zusammenhänge ausgebildet, die jedoch noch einen stark informellen, unorganisierten Charakter besitzt. Da sich die Lage in der Region in naher Zukunft eher verschlechtern wird, haben wir im Anschluss an den Vortrag beschlossen ein gemeinsames Forum zur transparenten Kommunikation zu nutzen und möglichst im September eine Konferenz zur Roma-Thematik in der Grenzregion zu organisieren.
Damit endete ein weiteres inspirierendes Treffen auf dem Weg zu einer vielfältigen, handlungsfähigen anarchistischen Bewegung.
Öffentlichkeitsreferat der FdA, Juli 2013
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